Wolfgang Heger, am 13. Juli 2000

zur Eröffnung im Haus Hasenbergsteige 31, Stuttgart

Im Farbfluss der Bilder
Malerei von Bernhard Walz

"Das Auge lebt wild" meinte Andre Breton und für Farbwahrnehmung gilt tatsächlich: Die Farbe ist das zuhöchst relative Medium der Kunst. Es gibt keine Sicherheit und die Gefahr der Augentäuschung ist groß. "Ähnlich wie haptische Illusionen, so täuschen uns auch optische Illusionen" heißt es deshalb in Josef Albers Klassiker "Interaction of colour", in dem Albers die Grundlagen einer Didaktik des Sehens skizziert. Die Farbe agieren sehen, ihre Interaktionen erkennbar und transparent machen, das wollte Albers seinen Schülern in seiner Didaktik des Sehens vermitteln.

Auch Bernhard Walz umkreist die Geheimnisse, die Farbe birgt. Hinter der spontanen, dem Informel entlehnten Geste, hinter den vulkanischen Eruptionen seiner Malerei steckt eine intensive Auseinandersetzung mit Farbwirkung und - Materialität. Intensität entsteht bei Walz durch Freiwerdung, durch Freisetzung der Farbenergien. Der Pinselstrich, die Pinselführung selbst, erscheint bei Walz als Akt einer monumentalen Setzung, einer Tat, einer ästhetischen Handlung, der er mit größtmöglicher Genauigkeit nachgeht.

Nach der Eruption erkaltet die Farb-Lava, sie verfestigt sich, ihre Bewegung friert ein, die Farbschöpfung legt sich fest und wird zum Bild. Ein abstraktes Bild spiegelt nichts mehr von der gegenständlichen Wirklichkeit unserer Umwelt, die Farbe ist befreit, von der Aufgabe die Dinge zu kennzeichnen. Denn: "Farbe hat in sich selbst eine souveräne Bedeutung, die auf ihren Eigenschaften beruht. Farbe ist in sich selbst Licht. In der Natur schafft das Licht die Farbe; im Bild schafft die Farbe das Licht. Die Leuchtkraft eines Werkes hängt nicht nur von der Qualität der Lichtausstrahlung jeder Farbe ab, sondern vorwiegend vom Verhältnis dieser Qualitäten." soweit der Künstler Hans Hofmann.

Neben der Bedeutung von Farbe, Materialität und Licht ist augenfällig, daß sich die Arbeiten von Bernhard Walz nicht vor traditionellen Rahmenvorstelllungen beugen. Es sind Bilder, die sich dem Rahmen verweigern. "Der Rahmen hat etwas vom Fenster, wie das Fenster sehr viel vom Rahmen hat. Bemalte Leinwände sind Löcher ins Ideale, durchgebrochen durch die stumme Realität der Mauer kleine Ausluge ins Unwahrscheinliche, in das wir hineinschauen durch das hilfreiche Fenster des Rahmens." schreibt Ortega y Gassett in seiner "Meditation über den Rahmen"(1921).

Die Bilder von Bernhard Walz aber kommen ohne diesen Rahmen aus, denn seine Farbverflechtungen greifen nach allen Seiten über den Bildrand hinaus, das Bild kommt auf den ersten Blick nicht zu Ende, alles scheint nur ein Ausschnitt unbegrenzter Bewegung zu sein. Aber dieser Eindruck ist trügerisch, denn bei Walz findet sich eben keine Verlängerung des Bildraums durch den Gedanken oder die Wahrnehmung ins Unendliche, es ist kein Zu-Ende-Denken von Bildideen, sondern eher eine Befragung der Malerei, die auch die Bildgrenze ganz konkret miteinbezieht. Und so zeichnet Walz die Spuren einer deutlichen Bewegungsrichtung nach und schreibt sie fest. Das Bild wuchert über den (konventionell gedachten) Rahmen hinaus, erweitert seine Grenzen, scheint wie ein Vulkan ständig neue Farbe auszustoßen bis das Material am Ende des Arbeitsprozesses schließlich erkaltet und in der endgültig gefundenen Form erstarrt. Das Erstarren, die Verfestigung des Farbmaterials ist bei Walz eine Art künstlerischer Initialzündung, denn die Festschreibung der Form ist situationsbildend für eine neue BildRaumBildung und diese öffnet dem klassischen Tafelbild neue Wirkmöglichkeiten und Spannungsverhältnisse.

Bernhard Walz arbeitet mit Körpereinsatz - an die gestische, informelle Tradition dieser Malerei sei noch einmal erinnert - aber es gibt grundlegende Unterschiede zu diesen abstrakt-expressiven Ausdrucksformen. Denn Walz malt nicht nur mit, sondern auch gegen das widerständige Farbmaterial. Man zwingt dieser Farbmaterie nicht so leicht seinen Willen auf, Walz arbeitet gegen den Widerstand der Farbmasse. Die sensornotorische Geschwindigkeit der Hand wirkt gegen die widerstrebende Zähigkeit des Farbmaterials. Farb- oder besser Pinselspuren sind also konkret final, da ist kein Hauch, keine Spur von Illusionismus, wenn der Pinselstrich endet, ist er tatsächlich zu Ende, das Bild erscheint nicht als Ausschnitt einer größer gedachten Einheit, sondern, es ist, was es ist, nämlich kein Einblick in eine andere Welt, sondern tatsächlich eine andere Welt. Die Pinselstriche dieser Farbwelt scheinen frei an der Wand zu schweben, ohne Begrenzung durch einen Bildträger. Man möchte manchmal geradezu in den Farbfluss der Bilder eintauchen.

"Alles fließt", heißt es bei Heraklit. Der Betrachter ist ein Taucher im Farbmeer oder ein Forscher, der unter dem Focus seines Mikroskops auf Farbamöben trifft, fremdartige Lebensformen, die sich räumlich materialisieren. Die pastose Materialität der Acrylfarbe mit der sich Bernhard Walz auseinandersetzt, verlangt nach großen Mengen Bindemittel. Die Farbwülste auf der Leinwand wirken nicht nur als Farbspuren, sondern beinahe wie eine grelle Knetmasse, denn Malerei wird bei Walz nicht nur im Wortsinn, sondern im handgreiflichen Sinn plastisch und läßt tatsächlich Farbe im Bild zum Raum werden.

Das Kunstwerk erscheint als Moment einer Situation, in einer Form, in (der) innere (emotionale) und tatsächliche Bewegung im Bild dokumentiert wird. Dennoch: im Zentrum steht gerade nicht die psychologische Fixierung der Künstler-Befindlichkeit im Sinne der automatischen spontanen Malhandlung eines action painting, sondern ein Widerstand, der im Material selbst liegt und der überwunden werden muß. Ein Arbeit nicht unbedingt immer nur mit, sondern auch gegen die Farbe. Es sind Konkretionen des malerischen Ausdrucks und nicht Signaturen oder Notate der psychischen bzw. subjektiven Befindlichkeit des Künstlers. Es ist gewissermaßen eine Malerei, die die Handschrift des Künstlers quasi vergrößert, die den Duktus wie unter dem Mikroskop untersucht. Bernhard Walz ironisiert in gewisser Weise die Bedeutung der Handschrift, und er ringt ihr eine neue, kreative Lesart ab. Trotz der manchmal überwältigenden Monumentalität der Farbwirkung spielen sich ästhetische Finessen auch in sonst unbeachteten Zwischenräumen ab. Der Pinselstrich - ich sagte es bereits - hat ein konkretes Ende aber paradoxerweise in einem sehr offen organisierten, auf Spontaneität angelegten Arbeitsverfahren.

In den Farbgipfeln, den Höhenzügen, den Farbrillen wird zwischen lauten Farbtönen immer wieder die malerische Sensibilität von Bernhard Walz erkennbar. "Das Auge lebt wild", sagte Breton und die Qualität von Malerei als Malerei wird auf dieser Expedition, die zu den Quellen, quasi zum Ursprung des Pinselstrichs führt, erkennbar. Das Programmatische an dieser Nahsicht lautet vielleicht, das unbekannte Farbland im Pinselstrich zu finden.

Bernhard Walz Bilder erscheinen als Konkretionen voll absoluter Welthaltigkeit, als Präsenz, nicht als schöner Schein, sondern als positive Gegenwärtigkeit. Bunt, schrill, grau - eine Tektonik der Farbe, ein Ineinander von Fließen und Erstarrung, von Zusammenballung und Auflösung, von Ordnung und Chaos. Es handelt es sich nicht um Kunst, die nachahmt oder verweist, sondern um eine Kunst, die dem Temperament der Farbe den Vorzug vor der eigenen Subjektivität gibt. Und trotzdem: es ist keine konkrete Malerei im klassischen Sinne einer systematischen Untersuchung. Walz Bilder sind nicht pädagogisch, sind eben keine "Löcher ins Ideale" -wie Ortega y Gassett formulierte -sie eröffnen auch keinen Ausblick ins Unwirkliche oder ins Reich der Ideen, sie bilden nicht ab, sondern sie zeigen Malerei als "Faktur", als etwas, das hergestellt wird, als Spur von künstlerischer Weltschöpfung.

Wolfgang Heger